Auf Kosten der Männer? - Warum mehr Frauen in Führungspositionen nicht das Ende von Diskriminierung bedeuten
Die Studie in Kürze
Es gibt sehr viele Studien zum Thema Diskriminierung von Frauen, die auf unterschiedlichste Arten zeigen, dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder im Studium auch heute immer noch diskriminiert werden. Ein Beispiel hierfür ist eine Studie, die zeigt, dass Naturwissenschaftsstudentinnen für kleinere Jobs an der Uni, bei denen Mathekenntnisse vorausgesetzt werden, viel weniger häufig eingestellt werden als Studenten (Reuben, Sapienza, Zingales (2014)).
Doch es gibt zunehmend auch Studien, die ein anderes Bild zeichnen. So finden die Ökonomen Williams und Ceci, dass wenn es um das Einstellen von Professoren/-innen in den Naturwissenschaften geht, bei sehr ähnlichem Lebenslauf Frauen eher eingestellt werden als Männer. Es scheint hier also sogar auch Diskriminierung gegen Männer zu geben, und dies obwohl sich beide Studien dasselbe Feld anschauen, nämlich die akademischen Naturwissenschaften. Wie kann man sich diesen Unterschied nun erklären? Ist Diskriminierung einfach situationsabhängig? Oder deutet die zweite Studie von Williams und Ceci darauf hin, dass Diskriminierung gegen Frauen langsam verschwindet?
Eine neu erschienene Studie argumentiert, das dem nicht so ist. Die Autoren J. Aislinn Bohren, Alex Imas und Michael Rosenberg stellen die Theorie auf, dass beide der obengenannten Situationen das Resultat der genau gleichen Diskriminierung sein können.
In einem Model zeigen sie zuerst, dass man die Bevorzugung von Frauen, die bereits eine längere Karriere hinter sich haben, so erklären kann: Um überhaupt soweit zu kommen, mussten diese Frauen wahrscheinlich immer ein bisschen härter arbeiten als ein Mann, da sie öfters Vorurteile überwinden mussten. Daraus kann dann geschlossen werden, dass eine Frau, die sich auf einen hohen Posten bewirbt, eigentlich besser qualifiziert ist als ein Mann mit ähnlicher Karriere. Gerade weil sie früher mehr Leistung zeigen mussten, um voranzukommen, werden Frauen wie in der Studie von Williams und Ceci später in der Karriere eher bevorzugt.
Um diese These zu überprüfen, führen die Forscher ein Experiment auf einer Online Matheplatform durch. Sie zeigen, dass fortgeschrittene Nutzer mit weiblichen Nutzernamen tatsächlich eher als vertrauenswürdig angesehen werden als solche mit männlichen Nutzernamen. Bei neuen Nutzern hingegen stellen sie fest, dass Nutzer mit männlichen Nutzernamen eher bevorzugt werden.
Das theoretische Modell
Diskriminierung aus Unwissen?
Die Autoren halten zunächst fest, dass die zwei Arten von Diskriminierung (Frauen werden einerseits zuerst benachteiligt, andererseits später dann bevorzugt) nur erklärbar sind mit dem Konzept der sogenannten statistischen Diskriminierung. Als statistische Diskriminierung bezeichnet man Diskriminierung, die auftritt, wenn ein Bewerter nur unvollständige Informationen hat, um die Fähigkeiten von jemandem zu beurteilen und daher aus Merkmalen wie Geschlecht oder Alter auf diese zu schliessen sucht.
Dies im Gegensatz zu Vorlieben-basierter Diskriminierung, bei der jemand einfach eine Abneigung gegen eine bestimmte Gruppe hat (z.B. Frauen) und aufgrund dieser Abneigung diskriminiert. Würde es sich in diesem Fall hier um Vorlieben-basierte Diskriminierung handeln müsste man Diskriminierung gegenüber Frauen sowohl bei den Studentinnen wie auch bei den Professorinnen beobachten. Statistische Diskriminierung hingegen kann beide der beschriebenen Situationen in einem dynamischen Modell erklären.
Studentinnen bewerben sich auf Mathe Jobs:
Das Argument ist dabei das Folgende: wenn wir beim Beispiel von Naturwissenschaftsstudentinnen bleiben, die sich für einen kleinen Nebenjob an der Uni bewerben, dann haben diese Studentinnen ausser ihren Noten noch keine wirklichen Referenzen, die sie für den Job empfehlen könnten. Die Person, die die Einstellungsentscheidung trifft, hat also nur ein einziges Signal (die Noten), anhand dessen sie einschätzen muss, wie gut eine Person für den Job geeignet ist.
Stellen wir uns nun vor, dass es zwei Arten von Personen gibt, die die Einstellungsentscheidung treffen: solche die denken, dass Männer gut sind in Mathe und Frauen eher nicht - und solche die denken, dass Frauen und Männer im Schnitt in Mathe gleich gut sind. Wenn nun eine voreingenommene Person aus zwei Kandidaten mit unterschiedlichem Geschlecht, aber mit gleicher Note auswählen muss, dann wird diese Person eher den männlichen Studenten für den Job wählen. Eine nicht voreingenommene Person dagegen wird die Auswahl zufällig treffen.
Im Grossen und Ganzen führt dies dazu, dass im Schnitt Frauen weniger häufig für solche kleinen Mathejobs an der Uni eingestellt werden als Männer.
Post-Docs bewerben sich als Professorinnen:
Stellen wir uns nun weiter vor, dass diese Studenten ihr Studium abschliessen, eine Abschlussarbeit schreiben, eine Stelle als Doktorand an einer Uni annehmen, dann eine Stelle als Post-Doc und sich schliesslich als Professor bewerben.
Neben den Noten hat die Person, die die Einstellungsentscheidung in diesem Fall treffen muss, nun noch viele weitere Signale zur Verfügung: zum Beispiel den Ruf unter Kollegen, wie gut die bisherige Arbeit der Kandidaten publiziert wurde, an welchen Unis das Doktorat absolviert wurde, etc. D.h. bei der Bewerbung auf eine Professur kann man viel verlässlicher einschätzen, wie gut qualifiziert ein Kandidat tatsächlich ist.
Genau wie im ersten Fall haben wir aber auch hier immer noch zwei Arten von Personen, die die Einstellungsentscheidung treffen: solche die gegenüber Frauen voreingenommen, und solche, die nicht voreingenommen sind.
In diesem Fall wird ein unvoreingenommener Entscheider nun sogar anfangen, Frauen mit ähnlichen Qualifikationen den Männern vorzuziehen. Dies aus dem folgenden Grund: der unvoreingenommene Entscheider weiss, dass es voreingenommene und unvoreingenommene Entscheider gibt. Er weiss somit, dass bei jeder Einstellungsentscheidung in der Karriere der beiden Kandidaten die Möglichkeit bestand, dass der Einsteller voreingenommen war. In diesen Fällen musste die Frau, um weiterzukommen, bessere Leistungen erbringen als ein Mann.
Daher folgert der unvoreingenommene Entscheider, dass die Frau, die es bereits bis zu dieser Stelle geschafft hat, besser qualifiziert ist als der Mann. Trotz ähnlicher Signale, wird ein unvoreingenommener Entscheider hier also eher die Frau einstellen.
Auch der voreingenommene Entscheider ist in diesem Fall weniger geneigt, die Frau zu diskriminieren. Dies da ihm in diesem Fall viele Signale zur Verfügung stehen, was den subjektiven Spielraum stark beschränkt. Da der voreingenommene Entscheider nun nicht mehr so stark diskriminiert und der unvoreingenommene Entscheider Frauen sogar bevorzugt, wird in diesem Fall die Frau häufiger eingestellt werden als der Mann. Dies, obwohl sich an der Diskriminierung an sich nichts verändert hat, und es immer noch voreingenommene und unvoreingenommene Einsteller gibt.
Experiment auf einer Mathe-Platform
Von der Studentin zur Professorin
Die Ökonomen testen ihre Theorie zusätzlich in einem Experiment auf einer Online Matheplatform. Auf dieser Platform können Nutzer Fragen zu Mathe von Gymistufe bis Unistufe stellen, die dann von anderen Nutzern beantwortet werden. Um eine Frage zu stellen, muss jeder Nutzer ein Profil mit einem Benutzernamen anlegen. Neben dem Stellen und Beantworten von Fragen, können Nutzer auch Fragen und Antworten bewerten: entweder mit Daumen hoch oder Daumen runter. Dabei sammelt jeder Nutzer für jede Bewertung, die er für seine Fragen oder Antworten kriegt. Punkte, welche dann im Profil dieses Nutzers ersichtlich sind.
Die Forscher kreieren nun neue Profile, die Hälfte der Profile mit weiblichen Nutzernamen die andere Hälfte mit männlichen Namen.
Von diesen neuen Profilen wählen sie zufällig 50 Prozent aus und beantworten mit diesen Nutzernamen möglichst viele Fragen, damit diese Nutzernamen Punkte sammeln können. Sobald diese Nutzernamen genug Punkte gesammelt haben, um zu den 25 Prozent Besten Nutzern auf dem Forum zu zählen, wird diesen Nutzern zufällig entweder das Geschlecht geändert oder nicht.
Am Ende gibt es also zwei Arten von Nutzern, die von den Forschern erstellt wurden, nämlich solche die noch keine Punkte gesammelt haben (und somit den Studenten entsprechen, die noch wenige Signale ausser ihrer Note haben) und solche die viele Punkte haben und zu den besten im Forum gehören (entspricht den Bewerbern für die Professur, die viele Qualitätssignale haben). Davon sind jeweils zufällig die Hälfte weibliche Nutzernamen und die andere Hälfte männliche Nutzernamen.
Und wie werden diese bewertet?
Des Weiteren ordnen die Forscher verschiedene Mathefragen, die alle einen ähnlichen Schwierigkeitsgrad haben, zufällig den erstellten Profilen zu. Nach einer Woche schauen die Forscher, welche Profile wie viele Punkte für ihre Frage erhalten haben. Sie finden dabei genau das vorhergesagte Resultat: Nutzer mit weiblichen Namen ohne bisherige Punkte kriegen für ihre Frage viel weniger Daumen hoch als Nutzer ohne Punkte mit männlichen Nutzernamen. Bei den Nutzern mit vielen bisherigen Punkten bekommen die Profile mit weiblichen Namen viel öfter ein Daumen hoch als Nutzer mit männlichen Namen.
Wie im theoretischen Modell finden die Forscher also auch, dass unter Nutzern bei denen es schwierig ist, die Qualität einzuschätzen, Frauen benachteiligt werden. Dies im Gegensatz zu Nutzern mit vielen Punkten, die hohe Fähigkeiten signalisieren: Hier wird nun gegen männliche Nutzernamen diskriminiert.
Um zu überprüfen, wie stark die Resultate davon abhängen, ob man objektiv die Qualität beurteilen kann, schauen sich die Forscher auch an, wie die Daumen hoch bei Fragen im Vergleich zu Antworten vergeben werden. Die Forscher argumentieren, dass die Qualität einer Antwort viel einfacher einzuschätzen ist, da eine Antwort entweder richtig oder falsch ist. Bei einer Frage hingegen ist es schwieriger objektiv zu beurteilen, was eine gute Frage ist und was nicht. Wie erwartet, tritt das Diskriminierungsmuster bei Fragen stärker auf, als bei Antworten.
Was wir aus der Studie mitnehmen
Statistische Diskriminierung kann dafür verantwortlich sein, dass in Situationen mit imperfekter Information über Bewerber mit Spielraum für Subjektivität Frauen diskriminiert werden. Fällt aber der Spielraum für Subjektivität weg, verschwindet auch die Diskriminierung. Und in Situationen, in denen viele verschiedene Signale für die Qualität vorhanden sind, kann sich die Diskriminierung sogar umkehren, da aus den Signalen geschlussfolgert werden kann, dass Frauen härter arbeiten mussten um genauso gute Signale zu erreichen wie Männer.
Beide Situationen sind somit Konsequenz der genau gleichen Art von Diskriminierung. Man kann also aus den Studien, die zeigen, dass Frauen in eher fortgeschrittenen Karrierestufen sogar bevorzugt werden, nicht schliessen, dass Diskriminierung am Verschwinden ist und sich das Problem nun quasi von selber gelöst hat.
Eher umgekehrt, dies ist genau das Muster, das man erwarten sollte, wenn Frauen über ihre ganze Karriere hinweg mit Diskriminierung rechnen müssen. Was können wir nun also dagegen machen? Nun, im Modell wäre das Problem gelöst, gäbe es keine voreingenommenen Einsteller…
Zum Weiterlesen:
Die komplette Studie findet man unter:
Bohren, A.J., Imas, A., Rosenberg, M. 2018. “The Dynamics of Discrimination: Theory and Evidence” PIER Working Paper No. 18-016.
https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3235376
Weitere erwähnte Studien:
- Reuben, E., Sapienza, P., and Zingales, L. 2014. “How Stereotypes impair Women’s Careers in Science.” Proceedings of the National Academy of Sciences 111, no. 12(2014): 4403-4408 https://www.pnas.org/content/111/12/4403
- Williams, W. and Ceci, S. 2015. “National Hiring experiments reveal 2:1 faculty preference for women on STEM tenure track.” Proceedings of the National Academy of Sciences, 112, 201418878 https://www.pnas.org/content/112/17/5360