Die Studie in Kürze

Derzeit beträgt der Frauenanteil im Schweizer Parlament 31.7%, und wird möglicherweise bald höher ausfallen. Gemessen am Anteil in der Bevölkerung ist der Frauenanteil in der Schweizer Politik eher niedrig.

Inwiefern ein niedriger Frauenanteil in der Politik mit Favorisierung von männlichen Kandidaten sowohl von Seiten der Wählern wie auch der Parteien erklärbar ist, erforschen Lori Beaman, Raghabendra Chattopadhyay, Esther Duflo, Rohini Pande und Petia Topalova. Kontext der Studie ist zwar nicht die Schweiz, sondern der indische Bundesstaat West Bengal - dennoch sind die allgemeinen Schlussfolgerungen möglicherweise auch für andere Nationen relevant.

Die Forscher beleuchten im Paper „Powerful Women: Does exposure reduce bias?“, wie sich eine randomisierte Quotenregelung für Gemeindepräsidentinnen über zwei Legislaturperioden hinweg auf verschiedene Faktoren auswirkt.

Hierzu wurden Gemeinden des Staates in eine von drei Gruppen eingeteilt: Ein Drittel der Gemeinden in West Bengal bekam für zwei Legislaturperioden eine „Präsidentinnen-Quote“ verordnet, ein Drittel hatte eine Quote nur während eines Legislaturzirkels, und ein weiteres Drittel der Gemeinden hatte über den gesamten Zeitraum keine „Präsidentinnen-Quote“.

Im politischen Kontext zeigt sich, dass in Gemeinden, die eine Präsidentin per Quote verordnet bekamen, mehr Frauen in den Gemeinderat gewählt werden, selbst wenn die Quote nicht mehr angewendet wird. Dieser Effekt ist aber nur nach zwei Legislaturperioden in Frauenhand messbar – für Gemeinden mit Quotenfrau in nur einer Legislaturperiode gilt dies nicht.

Um besser zu verstehen, warum Politikerinnen in Gemeinden mit vorheriger Quoten-Präsidentin besser abschneiden, stützen sich die Autoren der Studie auf Daten einer Umfrage unter Dorfbewohnern. Sowohl männliche wie auch weibliche Wähler bevorzugen generell männliche Gemeindevorsteher, unabhängig davon ob sie in ihrer eigenen Gemeinde eine Quoten-Präsidentin hatten oder nicht.

In Gemeinden mit Quote beurteilen Wähler Politikerinnen jedoch als gleich kompetent wie männliche Politiker. Während die Quote somit nicht die generellen Präferenzen der Wähler für männliche Präsidenten umgekrempelt hat, hilft sie doch dabei, langsam tiefgreifende Vorurteile gegenüber Frauen in der Politik zu ändern.

Die Quote für weibliche Politiker in West Bengal

Im indischen Bundesstaat West Bengal werden Gemeinderäte von den Wählern einer Gemeinde gewählt. Im Zeitraum, in dem die Studie stattfand, waren ein Drittel der Gemeinderatssitze für Frauen reserviert, d.h. nur Frauen durften für einen solchen Sitz kandidieren und gewählt werden. Jeder Gemeinderat wählt aus seinen Mitgliedern zu Beginn der Legislatur einen Gemeindepräsidenten.

Der Gemeindepräsident hat im Vergleich zu den anderen Ratsmitgliedern deutlich mehr Macht und Aufgaben: Sie oder er bekleiden als einzige ein Vollzeitamt und sind für die Finanzen und die Priorisierung von Ausgaben für unterschiedliche Bereiche zuständig.

Die Studie beleuchtet eine Frauenquote für das Amt des Gemeindepräsidenten: Während der lokalen Legislaturperioden in 1998 und 2003 wurden Gemeinden zufällig in eine von drei Kategorien eingeteilt: für ein Drittel der Gemeinden gab es keine Vorschrift für das Präsidentenamt, für das zweite Drittel wurde eine weibliche Präsidentin für eine Legislaturperiode (entweder 1998 oder 2003) vorgeschrieben, und für das letzte Drittel der Gemeinden musste eine Frau als Präsidentin in beiden Legislaturperioden (1998 und 2003) gewählt werden. In all diesen Gemeinden wurde das Präsidentenamt aus den Reihen der gewählten Gemeinderatsmitglieder besetzt.

Weil die Gemeinden in eine dieser drei Kategorien per Zufallsprinzip eingeteilt wurden, und sich somit im Schnitt sehr ähnlich sind, können die Forscher den kausalen Effekt der Präsidentinnen-Quote messen.

Haben weibliche Kandidaten bessere Chancen, nachdem eine Präsidentin im Amt war?

Nachdem die Präsidentinnen-Quote bei der Wahl in 2008 nicht mehr in Kraft war, haben Frauen in Gemeinden, die zuvor eine Quoten-Präsidentin hatten, tatsächlich bessere Chancen: Mehr Frauen kandidieren als Gemeinderäte und werden auch gewählt, dies umso mehr wenn zwei Frauen hintereinander Präsidentin waren.

Auch für das Präsidentenamt ergeben sich Unterschiede: Unter den Gemeinden, die nie eine Frauenquote hatten, haben knapp 10% in 2008 eine weibliche Präsidentin. Dies ist deutlich höher in den Gemeinden mit zwei Quoten-Legislaturperioden zuvor: In 17% dieser Gemeinden werden in 2008 Frauen ins Präsidentenamt gewählt. Interessanterweise haben Gemeinden, die nur während einer Periode eine Quoten-Präsidentin hatten, ähnliche Ergebnisse wie Gemeinden, die gar nie eine Quote hatten.

Zusammengefasst scheint die Quote Wirkung zu zeigen, mehr Frauen in die Politik zu bringen - dies jedoch nur wenn Frauen zuvor genügend lange im Amt waren. Aber warum ist das so?

Welche Rolle spielt die Einstellung von Wählern gegenüber weiblichen Politikern?

Die Forscher gehen verschiedenen Hypothesen nach, warum in Gemeinden mit weiblichen Präsidenten auch nach der Quote mehr Frauen im Amt sind, und beleuchten hierbei vor allem ob und wie sich die Einstellung von Wählern gegenüber Frauen in der Politik geändert hat. Während der zweiten Legislaturperiode, die im Jahr 2003 begann, führten die Forscher Interviews mit Gemeindebewohnern zu ihrer Einstellung gegenüber dem Präsidenten oder der Präsidentin in jedem der drei Gemeindetypen durch.

Zunächst ist jedoch wichtig, zu verstehen, ob weibliche Präsidenten objektiv gesehen ähnlich gute Leistungen wie ihre männlichen Pendants bringen. Denn eine schlechtere Beurteilung von Frauen wäre gerechtfertigt, wenn weibliche Politiker tatsächlich schlechtere Leistungen bringen. Hierfür werten die Forscher Daten zu öffentlichen Gütern (Strassen, Schulen, Trinkwasser, Sanitäranlagen, etc.) aus, deren Bereitstellung und Planung in den Aufgabenbereich des Präsidenten fällt. Unabhängig vom Quotenstatus der Gemeinde ist die Quantität und Qualität der öffentlichen Güter gleich. Dies schlägt sich auch in der Beurteilung von Bewohnern nieder: Wiederum unabhängig vom Quotenstatus der Gemeinde bewerten die Wähler diese als ähnlich gut.

Bei der Beurteilung der Kompetenz ihrer Politiker ergeben sich jedoch Unterschiede: Wähler in Gemeinden mit derzeitiger Präsidentin (Legislatur 2003), die zuvor auch schon eine Präsidentin (Legislatur 1998) hatten, schätzen ihre Vorsteherin als genauso kompetent ein wie Wähler in Gemeinden ohne Quote (und somit eher mit überwiegend männlichen Präsidenten in 2003).

In Gemeinden, in denen allerdings zum ersten Mal eine Frau durch die Quote Präsidentin ist, bewerten Wähler ihre Kompetenz deutlich schlechter. Diese Effekte werden vor allem von männlichen Gemeindebewohnern getrieben – Frauen sind generell gegenüber Präsidentinnen weniger negativ eingestellt, passen ihre Meinung nach zwei Legislaturperioden aber auch weniger nach oben an.

Hilft die Quote dabei, Vorurteile gegenüber Politikerinnen zu beseitigen?

Ist die generell schlechtere Bewertung von Präsidentinnen während der ersten Amtszeit vielleicht damit zu erklären, dass Wähler Vorurteile gegenüber weiblichen Politikern haben, die sich nur langsam aus dem Weg räumen lassen?

Um diese Hypothese zu testen, spielen die Interviewer den Dorfbewohnern eine kurze politische Rede vor, die entweder von einem Mann oder Frau gesprochen wird. In der fiktiven Rede antwortet ein Präsident oder eine Präsidentin einer anderen Gemeinde auf die Beschwerde eines Wählers über einen kaputten Rohrbrunnen während einer Versammlung. Obwohl die Rede, die vorgespielt wird, immer gleich lautet (nur die Stimme ändert sich), bewerten Männer, die in einem Ort ohne Präsidentinnen-Quote wohnen, die Kompetenz der von einer Frau gesprochenen Rede deutlich schlechter. Wähler in Gemeinden mit mindestens einer Präsidentin in den letzten beiden Legislaturperioden bewerten die Kompetenz der fiktiven weiblichen Präsidentin jedoch sogar knapp besser als die männliche Version.

Was sagen Männer und Frauen, wenn man sie direkt nach ihrer Meinung fragt?

Unter anderem fragen die Forscher die Wähler auch direkt danach, ob sie generell eher weibliche oder männliche Politiker und Gemeindepräsidenten bevorzugen. Sowohl Frauen als auch Männer sagen offen, dass sie eine starke Präferenz für männliche Politiker haben. Interessanterweise ist diese Präferenz unter Männern sogar noch stärker, wenn in der Gemeinde eine Frau das Präsidentenamt inne hat oder hatte.

Die Autoren vermuten, dass hinter diesem Resultat eine Art „backlash effect“ steckt: Männer, die in Quoten-Gemeinden wohnen, wollen ihren Unmut über diese Regelung äussern. Dies obwohl sie die Politikerin in der Rede zuvor positiver beurteilen, und weibliche Politikerinnen nach der Quote bessere Chancen haben. Wahrscheinlich besteht hier eine gewisse Dissonanz zwischen eigener Meinung im Stillen, und gesellschaftlichen Gender-Normen, die nach aussen vertreten werden.

Was bedeutet diese Studie für den Alltag?

Zusammenfassend zeigt diese Studie deutlich, dass eine Quote für Frauen in politisch exponierten Ämtern positive Auswirkungen auf die Kandidatur und den Wahlerfolg für Frauen auch nach Ablauf der Quote hat. Mehr Frauen im Präsidentenamt führt auch dazu, dass Wähler offener gegenüber weiblichen Politikern eingestellt sind und diese als ebenso kompetent wie ihre männlichen Kollegen beurteilen.

Allerding passiert dies nicht von heute auf morgen: Die Effekte sind am grössten, wenn Frauen zweimal hintereinander das Präsidentenamt innehaben.

Obwohl diese Studie in Indien stattfindet, beinhaltet sie viele Ergebnisse, die auch für den Schweizer Kontext relevant sind. Mehr Frauen in der Politik führen zu mehr Frauen in der Politik - und zu weniger Voreingenommenheit gegenüber weiblichen Politikerinnen.

Daher ergibt sich hier eine ganz klare Maxime für den Alltag (oder eher den Sonntag): Mehr Frauen wählen!

Zum Weiterlesen:

Die komplette Studie findet man hier:

Lori Beaman, Raghabendra Chattopadhyay, Esther Duflo, Rohini Pande, Petia Topalova. 2009. Powerful Women: Does Exposure Reduce Bias?, The Quarterly Journal of Economics, Volume 124, Issue 4, Pages 1497–1540.

https://economics.mit.edu/files/3122